Tho­mas Kai­ser hat zusam­men mit dem Foto­gra­fen Ste­phan Schenk eine Repor­ta­ge über den Ber­ni­na­pass und die Ber­ni­na-Bahn­li­nie im Win­ter gemacht. 

Die Repor­ta­ge «Die Erfah­rung von Weiss» fin­det sich in der Schwei­zer Aus­ga­be von «GEO» (2, 2018) und beginnt so:

«An man­chen Win­ter­ta­gen, wenn die Son­ne kraft­los bleibt und nir­gends Schat­ten über die Hän­ge krie­chen, schei­nen die letz­ten Bäu­me und die weni­gen sicht­ba­ren Fel­sen im Weiss zu schwe­ben. Him­mel und Erde sind dann am Ber­ni­na­pass kaum zu unter­schei­den, und selt­sam fremd wirkt, was auf gut 2000 Metern über dem Meer noch sicht­bar ist: höl­zer­ne Tele­fon­stan­gen, die in lan­gen Rei­hen durch das Weiss zu flüch­ten schei­nen, eine Fahr­lei­tung, die immer wie­der von Schnee­wäl­len ver­deckt wird, hohe Strom­mas­ten, deren Sei­le wie die ver­wais­ten Wäsche­lei­nen von Berg­rie­sen anmuten.

Manch­mal taucht vorn im Schnee etwas Rot auf, dar­auf erkenn­bar ist eine sil­ber­graue Zahl. 3509 etwa, die Num­mer des Trieb­zu­ges „Pla­ci­dus Spe­scha“ der Rhä­ti­schen Bahn. Benannt ist der Zug nach einem Bene­dik­ti­ner­pa­ter, der im spä­ten 18. Jahr­hun­dert als Alpi­nist unter­wegs war – zu einer Zeit, als Grau­bün­den noch ein frei­staat­li­cher Fli­cken­tep­pich war und der 4049 Meter hohe Piz Ber­ni­na, der höchs­te Gip­fel der Ost­al­pen, noch kei­nen Namen hatte.

Weni­ge Minu­ten spä­ter ver­stärkt sich das Gefühl, der Schwer­kraft ent­ho­ben zu sein: Das Weiss wei­tet sich aus, der Zug glei­tet nun mit­ten im Gebir­ge einer Ebe­ne ent­lang – und schwebt zugleich auf den Rand der Welt in Weiss zu.»